Deprivationsschaden / Deprivationssyndrom beim Hund

Hendrik Groth
03.Jun.2018

Der Begriff der Deprivation beschreibt den Zustand einer physischen oder psychischen Entbehrung, eines Entzuges, Verlustes oder der Isolation von etwas Vertrautem, welches dem Hund das Gefühl einer Benachteiligung gibt. Soweit lautet die allgemeine Definition. Die Deprivation kann entstehen, wenn ein Hund reizarm oder lieblos aufwächst und nicht gelernt hat, sich mit seiner Umwelt auseinander zu setzen.

Um die Entstehung und die Auswirkungen dieser Erkrankung verstehen zu können, ist es wichtig zu wissen, dass das Gehirn eines Hundes sich zu einem großen Teil erst nach der Geburt entwickelt. Die Sinne des Tieres benötigen insbesondere in der ersten Lebensphase in einem Alter von drei Wochen bis zu drei Monaten eine Fülle von Reizen, um sich entfalten zu können. Dabei benötigen die Nervenzellen in dieser Zeit so viele Informationen wie möglich. Diese Phase des Welpen nennt man Sozialisierungsphase. Er macht in dieser Zeit erste Erfahrungen, die sich in sein Gedächtnis eingraben, egal, ob es sich um positive oder negative Erlebnisse handelt. Wächst ein Hund reizarm und ohne intellektuelle Herausforderungen beziehungsweise Erfahrungen auf oder ist er mangelhaft sozialisiert, können sich die Nervenzellen nicht ausreichend miteinander vernetzen und der Hund ist später nicht in der Lage, flexibel auf veränderte Bedingungen zu reagieren. Seine Gehirnstruktur weist Defizite auf, die es ihm in seinem weiteren Leben schwer machen, sich in einer komplexen Umgebung zurecht zu finden. Das Deprivationssyndrom beinhaltet folglich eine Entwicklungs- und Anpassungsstörung, die zu chronischen Angstzuständen führen und in unterschiedlichen Ausprägungen vorhanden sein kann. Sie im Erwachsenenalter wieder zu korrigieren erfordert ein großes Engagement, viel Geduld und viel Liebe zu dem betroffenen Tier.

Eine Deprivation tritt häufig bei Hunden auf, die bereits im jungen Alter lange Aufenthalte in Tierheimen erlebt haben oder als Zwingerhunde gehalten wurden. Sie kann sich darin äußern, dass der Hund zum Beispiel das Haus kaum verlassen möchte, unsauber wird oder auf neue Situationen übersensibel reagiert. Dabei verhält er sich in seiner gewohnten Umgebung und in einer für ihn sicheren Situationen völlig normal.

Durch die fortschreitende Entwicklung seiner Erkrankung besteht die Gefahr, dass der Hund schließlich in ständiger Anspannung und Ängstlichkeit lebt, was er auf Dauer psychisch nicht bewältigen kann. Auf der Suche nach einem Ventil lernt er schnell, dass zum Beispiel ein aggressives Verhalten geeignet ist, sich von allem und jedem zu distanzieren und sich ungewohnten Situationen zu entziehen. Die Angst vor dem Unbekannten kann im schlimmsten Fall in eine permanente Aggression umschlagen und der Hund verliert bei ungünstigen Begleitumständen mehr und mehr die Selbstkontrolle. In einem solch schwerwiegenden Fall kann er zu einer nicht zu unterschätzenden Gefahr für Fremde und, sofern das Verhältnis zwischen dem Halter und seinem Hund ebenfalls gestört ist, auch für ihn und seine Familie darstellen.

Auch erwachsene Hunde mit normalem Vorleben können mit Verhaltensänderungen auf traumatische Erlebnisse reagieren. Man spricht dann von Angststörungen oder Depressionen, aber niemals von einer Deprivation, da diese ausschließlich im Welpenalter (sensible Phase ca. 5. – 15 Lebenswoche) entsteht.

Hunde, die von dieser Krankheit betroffen sind, können sich im Verlauf ihres Lebens durchaus stabilisieren, nämlich dann, wenn ihr Leben in ruhigen Bahnen verläuft und ihnen nennenswerte Veränderungen erspart bleiben. Sie sind auf einen verständnisvollen und erfahrenen Halter angewiesen, der angemessen auf ihn eingeht und feste Rituale für seinen Alltag schafft. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Hund sehr auf seinen Besitzer fixiert ist. Es ist sicherlich hilfreich, wenn dem Hund Signale bekannt sind, die sein Leben vorhersehbar machen. Je mehr Signale er kennt, desto besser. Sämtliche Situationen, die ihm geläufig sind oder die er gut bewältigt, geben ihm die Sicherheit, etwas richtig gemacht zu haben, erhöhen seine Zufriedenheit und verhelfen ihm und seinem Besitzer zu einem akzeptablen Zusammenleben.
Die wichtigste Voraussetzung, um dem Hund die notwendige Hilfestellung zu geben, ist ein unbedingtes Vertrauen. Der Halter ist für das Tier der wichtigste Sozialpartner, dem er vertrauen und auf den er sich in allen Situationen verlassen können muss. Der Besitzer kann zum Beispiel seinem Hund durch häufigere Handfütterung die Sicherheit geben, dass von ihm keine Gefahr ausgeht, so dass nach und nach ein Vertrauensverhältnis entstehen kann.

Außer einem hohen Grad an gegenseitigem Vertrauen benötigt ein an Deprivation erkrankter Hund einen Ort, an dem er sich zurückziehen kann, wenn ihm alles Zuviel wird und wo er in Ruhe schlafen kann. Eine Box, aufgestellt an einem ruhigen Ort, bietet sich hier an, da sie den Hund von allen Seiten schützt und er sich sicher fühlen kann. Sucht er diesen Ort auf, darf er auf keinen Fall gestört werden.


Weil die Auswirkungen eines Deprivationsschadens so immens für den Hund auch für den Halter sind, sollten Sie bei der Auswahl des Züchters oder auch der Tierschutzorganisation die Augen weit öffnen und nicht nur mit dem Herzen aussuchen. Besser ist´s Fachverstand einzusetzen, um den richtigen tierischen Partner auszusuchen. Übrigens: Nur weil man viel Geld für einen Rassehund investiert bedeutet es nicht auch direkt, dass der Hund super sozialisiert ist. Stellen Sie dem Züchter die richtigen Fragen, wie zum Beispiel: „Was haben Sie in der sensiblen Phase des Welpen für seine Sozialisierung getan?” Wenn der Züchter darauf keine Antwort hat, weiß er wahrscheinlich nicht einmal was die sensible Phase ist und wie wichtig die Phase der Sozialisierung ist. Sie sollten sich dann schnell umdrehen und einen anderen Züchter aufsuchen.

Wenn Sie dazu Fragen haben, können sie sich gerne an uns wenden!

Beste Grüße,

Hendrik Groth

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